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Ägypten und die Chronologie des Alten Testamentes
#1
Ägypten und die Chronologie des Alten Testamentes
 
1. Allgemeines
2. Die interne Geschichtsschreibung des Alten Testamentes
3. Die ältere Chronologie des Bibeltextes
4. Die historischen Quellen Ägyptens
5. Die biblische Chronologie in der Antike und der neueren Geschichtsschreibung
 
Zusammenfassung

Die chronologischen Details des Alten Testamentes mager und dürftig. Die biblischen Daten sind erst nachträglich erstellt worden. Es fällt auf, daß die interne Geschichtsschreibung der biblischen Bücher unbestimmt und verschwommen wird, sobald man über die Zeit der Reichsteilung zurückgeht. Auch die Königszeit ist nur zu Beginn und am Ende genauer dokumentiert; die dort genannten Pharaonennamen sind relativ spät. Die großen Ereignisse der Patriarchenzeit spielen bei anonymen Pharaonen. Das verwundert umso mehr, wenn selbst Königsnamen von phönizischen Stadtfürsten erhalten sind. Außerdem kommen mehr als 30 Namen assyrischer und babylonischer Herrscher im Alten Testament vor.

Alle Traditionen des Alten Testamentes vor 850 v. Chr. sind also Fiktionen oder mündliche Stammesüberlieferungen, die kaum nachprüfbar sind. Zeitgenossen der Israeliten in Palästina: (Philister, Kanaaniter, Moabiter, Edomiter, Syrer und Phönizier) haben kaum schriftliche Quellen hinterlassen und berichten weder direkt noch indirekt von der israelitischen Landnahme. Nicht einmal archäologische Grabungsergebnisse stimmen mit den in der Bibel geschilderten Ereignissen der Landnahme überein: dort als besiedelt genannte Städte waren bereits seit Jahrhunderten zerstört und verlassen
Ägyptischen Zeugnisse sind wesentlich älter als sämtliche bisher ermittelten Quellen der Bibel und datieren aus der Zeit, als Ägypten Kolonialmacht über das Land Kanaan war. Ägyptische Texte deuten darauf hin, daß das Volk Israel und die Jahwe-Beduinen überhaupt keine Bedeutung besessen haben oder gar eine Sonderstellung einnahmen. Ägyptische Zeugnisse haben die einzigen, direkten Erwähnungen von Jahwe und Israel in historisch-ägyptischer Zeit.
Sehr schwerfällig mußte sich die Geschichtsschreibung des Alten Orients von der Vorherrschaft der Bibel befreien. Das Alte Testament galt ja lange Zeit als das älteste Buch der Welt, wie ja auch Hebräisch als die älteste Sprache der Menschheit.

Für die wissenschaftlilche Geschichtsschreibung erwies sich die Bibel als Hemmschuh. Es hat sehr viel Mühe, Fleiß und Bekennermut gekostet, die Geschichte des Vorderen Orients von der Vorherrschaft des Alten Testamentes zu befreien und eine eigene, den Quellen und Denkmälern angepaßte und stimmige Geschichte zu entwickeln.
Es ist erstaunlich, daß selbst in heutiger Zeit immer noch „biblische Chronologie“ im Vordergrund steht und daß die Ergebnisse der Ägyptologie wie der Assyriologie noch immer daran gemessen werden, in wieweit sie biblische Fakten und Erzählungen bestätigen können. Das hat besonders für die Archäologie Palästinas erhebliche Folgen, da man in jedem ausgegrabenen Schutthügel israelitische Reste vermutete und suchte. So werden sogar noch in jüngster Zeit archäologisch gesicherte Stratigraphien hemmungslos nach oben oder nach unten gezerrt und falsch datiert, bloß um den Berichten des Alten Testamentes Genüge zu tun. Selbst unbestrittene Textentlehnungen interpretiert man kunstvoll weg, weil sie die „Einzigartigkeit des Alten Testamentes“ in Frage stellen.
 
 
 
 
 
1. Allgemeines
 
Die Chronologie des Alten Testamentes ist besonders für die frühe Zeit ausnehmend vage. In guter alter Stammestradition orientalischer Nomaden wird die Stammesgeschichte aus mündlichen Überlieferungen geschöpft und das (relative) Alter der Begebenheiten anhand von Geschlechtsregistern errechnet. Deutliche Jahresangaben sind selten und darüber hinaus meist mythisch verbrämt (sieben, zwölf, siebzig, vierhundert u. dergl.). Umso mehr überrascht eine Angabe mit vortäuschender Genauigkeit, wie Hebron aber war sieben Jahre gebaut vor Zoan in Ägypten Num 13, 22
Im Text ist dieses Zitat nicht notwendig, es hat vermutlich als Glosse Eingang in das betreffende Kapitel gefunden. Eigentümlich ist, daß die Aufenthaltsdauer Israels in Ägypten nicht kanonisch wurde (wie etwa die literarischen Formeln darüber), sondern unterschiedlichste Angaben gemacht werden, wobei auch hebräische und griechische Versionen von einander abweichen:

90 Jahre: „drei Generationen von Jakobs Söhnen bis Mose“ Jes 15, 16
120 Jahre: „vier Generationen“ Ex 8, 13f
215 Jahre Ex 12, 40 (griech.) Joseph. ant. 2, 15, 2
400 Jahre Gen 15, 3, Joseph. ant. 2, 9, 1
430 Jahre Ex 12, 40 (hebr.) Joseph. ant. 2, 15, 2
440 Jahre 1. Kg 6, 1 (griech.)
480 Jahre 1. Kg 6, 1 (hebr.)

Ein Datengerüst läßt sich aus diesen Zahlen nicht gewinnen, auch die ‘relative’ Chronologie versagt.
Erst zur Zeit Jerobeams, des ersten Königs des Nordreiches Israel wird ein ägyptischer König erwähnt (1.Kg 11. 40), sogar mit Jahresangabe:
Aber im fünften Jahr des Königs Jerobeam zog herauf Sisak, der König in Ägypten, wider Jerusalem 1. Kg 14, 20: 2. Chr. 12, 2
Ein anderer ägyptischer König ist zeitgleich mit Hosea ( 2. Kg 17,4), ein dritter mit dem letzten König Judas (2. Kg 19,9; Jes 37., 9). Jeremias enthält eine interessante, chronologische Angabe:

Wider das Heer Pharao Nechos, des Königs von Ägypten, welches lag am Wasser Euphrat zu Karkemisch, das der König zu Babel, Nebukadnezar, schlug im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes des Josias, des Königs von Juda. Jer 46, 2; ohne Datum 2. Chr. 35, 20
Es fällt auf, daß nur zu Beginn und am Schluß der Königszeit solche chronologischen Einzelheiten zu finden sind:
Salomo Schoschenk I. 945 - 924 v. Chr.
Jerobeam desgl.
Asa Sarah, der Mohr (Osorkon II.) 924 - 888 v.Chr.
Hosea So (Schabako) 716 - 695 v. Chr.
Hiskia Tiharka 689 - 664 v. Chr.
Josia Necho 610 - 595 v. Chr. 1
Joahas desgl
 
Jojakim desgl. Zedekia Hophra (Apries) 589 - 570 v. Chr.

Im übrigen sind die chronologischen Details mager und dürftig. Das läßt den Schluß zu, daß zu Beginn und am Ende der Geschichte der Königreiche eine Stützung des zeitlichen Gerüstes nötig war, weil sonst die Regierungszeiten der jüdischen Königreiche ins Schwimmen geraten wären, da die Daten erst nachträglich erstellt worden sind. Wesentlich günstiger sieht die Chronologie babylonisch-assyrischer Könige aus.
 
2. Die interne Geschichtsschreibung des Alten Testamentes
 
Neben der auf Daten fußenden Chronologie gibt es im Text des Alten Testamentes interne Querverbindungen ohne Datenangaben.
- Abraham hatte mit Pharao Kontakt Gen 12, 10 - 13, 10. Er besaß auch eine ägyptische Dienerin Gen 16, 1; 21, 9
- Ismael wurde von einer Magd aus Ägypten geboren Gen 21, 21
- Isaak erhält ausdrücklich den Befehl, bei einer Teuerung nicht nach Ägypten zu ziehen Gen 26,. 2
- Jakob zieht mit allen seinen Söhnen nach Ägypten Gen 37 ff; Apg 7, 12 Diese Tatsache wird häufig - auch als Formel - genannt Num 20, 10; Deut 10, 20; Jos 24, 4; 1. Sam. 12, 8. Dabei taucht die mythische Zahl siebzig auf Deut 10, 20
- Joseph hat einen ganzen Novellenkranz absorbiert Gen 37 ff; 1. Mak 2, 53; Hebr 11, 22; Ps 105, 17. Beachtenswert ist ein Detail mit den Ketten Hes 19, 4
- Moses ist die Zentralfigur der Geschichte von der Knechtschaft und des Auszuges aus Ägypten Ex 2 - 18. Von dieser Geschichte hat es Kurzfassungen gegeben Judith 5, 8 - 11; Apg 7, 19f; Hebr 11, 22f. Die Metaphern, Anspielungen, Zitate und formelhaften Wendungen über Moses sind so zahlreiche, daß sie im einzelnen nicht aufgezählt werden können.

Die Legenden unterscheiden beim Auszug mehrere Punkte:

1. Wunder vor dem Auszug, teils unspezifisch, teils in Einzelepisoden gegliedert, z.b. Ps 135, 9
2. Das Töten der Erstgeburt Ps 78, 51
3. Der Durchzug durchs Schilfmeer Ps 136, 13 u. o.
Interessant ist, daß die Akteure wechseln, sogar die Personenbezeichnungen (Stellen geben nur
Einzelbeispiele)

Mose:

dieser Mann Mose, der uns aus Ägypten geführt hat Ex 32, 1
dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast Deut 9, 26
Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt? Num 20, 5
Er sandte Mose und Aaron, daß sie euch und euere Väter aus Ägypten führten 1. Sam 12, 8
 
Volk:

Es ist ein Volk aus Ägypten gezogen Num 21, 5
da ihr aus Ägypten zoget Deut 13, 5
da du aus Ägypten zogest Deut 16, 6
Warum sind wir aus Ägypten herausgezogen? Num 11, 20
da sie aus Ägypten zogen Ri 11, 13
 
Gott:

Gött hat ihn aus Ägypten geführt Num 24, 8
Der du unsere Väter aus Ägypten führtest 1. Kg 8, 53
und verließen ihren Herrn, der sie aus Ägypten geführt hatte Ri 2, 12
Ich bin der Herr, der euch aus Ägyptenland geführt hat Lev 11, 15
da ich sie aus Ägyptenland führte Jer 7, 22

Das Ereignis des Auszuges dient auch häufig als indirekte, nicht datierte Zeitangabe: „Von dem Tage an, da ich euere Väter aus Ägyptenland geführt habe, bis auf diesen Tag“ Jer 7, 25; 1. Sam 8, 8; 1. Kg 8, 16 u. o.

Bei der Geschichte über die Wüstenwanderung sind nur einige Erinnerungenn an Ägypten berücksichtigt Num 14, 13; Ex 32, 12 u.a. Das ist umso bemerkenswerter, da sonst auf kleinste Nebensächlichkeiten Rücksicht genommen wird, sogar auf das Gastrecht bei Beduinen Deut
23, 5.
Wenig ist aus der sog. Richterzeit belegt. Nur einmal wird vage das Land Gesem genannt Jos 10, 41.
Von König Saul und König David gibt es keine Angaben über Ägypten, abgesehen von der formelhaften Bezeichnung der Südgrenze des Reiches Israel 1. Sam 27, 8; 1. Chr. 13, 8.

Um Salomo ranken sich mehrere Sagen. Seine Weisheit wird gerühmt 1. Kg 5, 10. Als wichtiger historischer Fakt wird eine Pharaonentochter erwähnt, die Salomo heiratet, die aber anonym bleibt 1. Kg 3, 1; 9, 16 + 24. Zu seiner Regierungszeit ist auch ein Rivale Hadad nach Ägypten geflohen 1. Kg 11, 17.
Die Könige der Teilreiche hatten häufige Beziehungen zu Ägypten Es wird öfters von einer Flucht dorthin berichtet 2. Chr 10, 2; 2. Kg 25, 26; Jer 26, 21. Ägyptische Kultfiguren werden zu Staatsgottheiten erhoben 1. Kg 12, 28. Pharaonen greifen in die Geschrichte Israels ein: Sisak erobert Jerusalem und plündert Gold- und Silberschätze des Tempels 1 Kg 14, 25, bestätigt die Herrschaft des Rehabeam 2. Chr 12, 2 - 13. Necho kämpft mit dem Babylonischen König in Karkemisch, besiegt König Josias bei Megiddo und greift in die Thronfolge des Königreiches Juda ein 2. Kg 23, 29f; 2. Chr 35, 20f. Die ägyptische Vormachtsstellung in Palästina läßt sich aber auf Dauer nicht aufrechterhalten 2. Kg 24, 7.

Der kurze Zeitraum bis zur endgültigen Eroberung Palästinas und Ägyptens durch die Assyrer zur Zeit des Königs Hiskia ist ausgiebig belegt. So gibt es politische Prophezeiungen ´von Jesaja ‘wider die Ägypter’ Jes 19, 1 - 20, 1 und ‘wider die, die sich nach Ägypten flüchteten’ 30, 1 - 9, außerdem die Warnung vor der unzuverlässigen ägyptischen Streitmacht 31, 1 - 5.

Auch Jeremia verkündet eine ‘Weissagung wider Ägypten’ Jer 46, 1 - 26, macht aber auch Angaben über historische Einzelheiten: wechselndes Schlachtenglück zwischen Assyrern und Agyptern bei der Belagerung Jerusalems 37, 5 - 11, Schilderung des Exils in Ägypten 41, 17 und die Niederlage des Pharao Apries in Palästina 44, 30. Zur gleichen Zeit gibt Hesekiel Andeutungen über politische Ereignisse Hes 16, 26; 23, 3f; 17, 15 - 17 und gleichfalls eine ‘Weissagung wider Ägypten’ Hes 29, 1 - 30 + 32.
Nachexilische Stellen des Alten Testamentes über Ägypten sind selten, ausgenommen Beschreibungen tatsächlicher Ereignisse wie die Diadochenkämpfe zwischen Seleukiden und Ptolemäern 1. und 2. Mak.

Es fällt auf, daß die interne Geschichtsschreibung der biblischen Bücher unbestimmt und verschwommen wird, sobald man über die Zeit der Reichsteilung zurückgeht. Auch die Königszeit ist nur zu Beginn und am Ende genauer dokumentiert.; die dort genannten Pharaonennamen sind relativ spät.
Die großen Ereignisse der Patriarchenzeit dagegen spielen bei anonymen Pharaonen. Das verwundert umso mehr, wenn selbst Königsnamen von phönizischen Stadtfürsten erhalten sind. Außerdem kommen mehr als 30 Namen assyrischer und babylonischer Herrscher im Alten Testament vor.
 
 
3. Die ältere Chronologie des Bibeltextes
 
Zahlreiche synchrone, geschichtliche Ereignisse sind in der hebräischen Geschichtsschreibung des Alten Testamentes nicht wiederzufinden, und umgekehrt, die angeblich „geschichtlichen Fakten“ der Bibel passen mitunter nur sehr schwierig in die Alte Geschichte des Vorderen Orients. Die Geschehnisse außerhalb der assyrisch-babylonischen Annalenberichte sind mythischer Natur. Man will die Urgeschichte der Menschheit und die Stammesgeschichte Israels bewußt in ungreifbare, ahistorische Dimensionen der Vorzeit zurückverlegen, daher auch nur die Bezeichnung Pharao anstelle eines bestimmten Königsnamens. Die später errechneten Genealogien sind auf bestimmte mythische Zahlen aufgebaut und jeweils auf 3, 6, 12, 70 usw. Sequenzen mühsam aufgefüllt.

Obwohl sogar der Schreiber des Bibeltextes von der Existenz einer ägyptischen Kolonie in Palästina wußte Ri 10, 11; Gen 10, 6, gibt er vor, bei der Gestaltung der Geschichte des Exodus nichts davon zu wissen. Nach der herkömmlichen, „biblisch gestützten“ Chronologie ist Merenptah der Pharao des Auszugs gewesen und Ramses II. der König, bei dem Mose seine Jugend verbracht hat und der die Juden zu Ziegelarbeiten zwang. Die rechtliche Seite dieser Fron streift HERRMANN
Vorausgestzt, daß diese Datierung zeitlich richtig wäre, sahen sich die Juden gezwungen, kaum der Knechtschaft Ägyptens entronnen, in die ägyptische Kolonie Kanaan einzuwandern: aus Ägypten flohen sie nach Ägfypten. Dazu meinte schon BRUGSCH:

Ein übeles Ding für Auswanderer und Flüchtlinge aus Ägypten, die auf dem Boden Palästinas allenthalben ihren eigenen Autoritäten in den Weg liefen!
Das ist sogar vom Selbstverständnis des Bibeltextes her undenkbar, geschweige denn von inneren, historischen Gegebenheiten.
Das jüdische Gesetz, wie es in Exodus und Levitikus niedergelegt ist, setzt eine Seßhaftigkeit des Judenvolkes notwendigerweise voraus , kann also für ein Nomadenvolk nicht bestimmt gewesen sein.

Die Beschreibung der Stiftshütte und des Tempelbaus unter Salomo sind reine Idealbeschreibungen eines Tempels Solche Idealbeschreibungen des Tempels ziehen sich eigentümlicherweise durch das ganze jüdische Schrifttum, sind auch in Sektenschriften wie in der sog. Tempelrolle von Qumran 8 und in der Apokalypse vorhanden Apok 21, 10f.

Nimmt man nun den Bibeltext beim Wort, bedeutet das, zur Zeit Salomos gab es keine Schmiede bei den Juden 1. Sam 13, 19, und Salomo mußte für seinen Tempelbau Handwerker aus Tyrus kommen lassen 1. Kg 7, 13f.

Das aber trifft wiederum mit den archäologischen Befunden in Palästina zusammen, denn „die Archäologie Palästinas ist weitgehend ‘stumme’ Archäologie“ , zumindestens was die hebräische Frühzeit anlangt. Es werden gerade überall ägyptische Fundstücke oder ägyptische Reste geborgen, wo man jüdische Funde erwartet hätte. Über dieses Rätsel ergebnisloser Archäologie in Palästina räsoniert bereits DUNCAN . Nach den archäologischen Befunden in Palästina jedenfalls kann die fiktive Chronologie der Bibel nicht korrigiert oder gar gesichert werden, sofern sie über das bereits erwähnte Datum 850 v. Chr. hinausgeht.
 
4. Die historischen Quellen Ägyptens
 
Alle Traditionen des Alten Testamentes, die vor 850 v. Chr. anzusiedeln wären, müssen als Fiktionen oder als mündliche Stammesüberlieferungen gelten, die kaum nachprüfbar sind. Zeitgenossen und Vorläufer der Israeliten in Palästina: Philister, Kanaaniter, Moabiter, Edomiter, Syrer und Phönizier haben kaum schriftliche Quellen hinterlassen und berichten weder direkt noch indirekt von der israelitischen Landnahme. Einzige Ausnahme ist der Mescha-Stein, der um 830 v. Chr. datiert ist.
Nicht einmal die archäologischen Grabungsergebnisse stimmen mit den in der Bibel postulierten Ereignissen der Landnahme überein: dort als besiedelt angegebene Städte waren bereits seit Jahrhunderten zerstört und verlassen oder haben für die in Frage kommende Zeit gar keine Funde erbracht, wie Jericho, Hebron, Sichem u.v.a.
Hier helfen auch die ägyptischen historischen Texte nicht weiter, die in dem Buch von Wolfgang HELCK zusammengetragen wurden und die er ausführlich diskutiert hat. Bezeichnenderweise gibt es für die fragliche Epoche nur indirekte Hinweise darüber, daß es tatsächlich Stammestraditionen gegeben hat, die in solch frühe Epochen zurückreichen. In der Einschätzung der Ägypter sind solche kleinen Stämme barbarische Wüstennomaden. Sie werden allenfalls der Vollständigkeit halber überhaupt in die Siegeslisten mit aufgenommen , die sonst nur bedeutende Städte oder Stadtkönigtümer enthalten. Dementsprechend sind auch nur zwei Namen belegt - die einzigen aus dem ägyptischen Kulturbereich bisher - die mit der Vorgeschichte des Volkes Israel direkt zu tun haben.

Die eine Quelle kann 1380 v. Chr. datiert werden und befindet sich auf Säulenbasen in dem nubischen Tempel von Soleb. Unter einer Vielzahl von Ausländernamen des Südens und Nordens, die König Amenophis III. besiegt hat, findet sich eine Abteilung „Länder der Beduinen“, die offenbar nach ihren Stammesgottheiten spezifizert sind. Es sind Labina-, Samata-, Sa’arir- und Jahwa-Beduinen. Davon sind die Sa’arir-Beduinen sogar in Gen 36, 8 belegt, die anderen Stammesgottheiten Labina und Samata sind unbekannt.

Die Jahwa-Beduinen haben als ihren Stammesgott ‘Jahwa’. Ihr Name tA Sasw jhwA „Land der Jahwa-Beduinen“ ist dort sogar doppelt vorhanden und war auf einer jetzt zerstörten Seitenwand des Tempels in einer zweiten Liste aufgeführt in der Form . Diese Liste hat wiederum um 1250 v. Chr. Ramses II. in seinem nubischen Tempel in Amara-West kopiert als (sic).

Der ägyptische Beleg stimmt mit dem überein, was DELITZSCH in seinem Buch „Die große Täuschung“ gefordert hat: Jaho oder Jahwe kann man als Stammesgott einer Beduinenschar ansehen, die erst allmählich und in viel späterer Zeit umfassendere Geltung gewann. Über die geographisch Lokalisierung dieser Beduinengruppe ist jedoch nichts Genaues bekannt, wahrscheinlich ist die Gegend zwischen Qadesch Barnea und Gebel Hilal gemeint, wie es aus dem Umfeld der Siegesliste Amenophis III. hervorgeht.

Als zweite Quelle nennt die Siegesstele des Königs Merenptah das Volk Israel unter den Besiegten von Palästina. Der Text datiert aus dem Jahr 1219 v. Chr, im Jahr 5 des Herrschers:
 
 
Alle Fürsten stürzen nieder und sagen.“Schalom“ (d.h. Frieden).
Kein einziger erhebt mehr sein Haupt unter den Neunbogen-Völkern
Verwüstet ist Libyen, Hethiterland in Frieden.
Erbeutet ist Kanaan mit allem Schlimmen.
Gefangen ist Askalon, gepackt ist Gezer
Jenoam ist gemacht, als wäre es nie gewesen.
Jasir’ela (= Israel), seine Leute liegen brach, sein Same existiert nicht mehr.
Syrien ist Witwe geworden für Ägypten.
Alle Lande, sie sind in Frieden vereint,
jeder, der herumstreifte, wird festgebunden durch König Merenptah.
Dieses Siegeslied ist formal gebaut: erst werden summarisch die traditionellen 9 feindlichen Völker Ägyptens genannt, dann der äußerste Westen und der äußerste Osten der damaligen Welt (Libyen, Hethiterland), schließlich die ägyptische Kolonie Kanaan in der Mitte. Darauf folgen von Süden nach Norden die eigentlichen Ortschaften des Feldzuges. Demnach wäre das Jasir’ela-Volk Israel in Nordkanaan oder im südlichen Syrien zu suchen. Voraussetzung dafür ist die Identität des ägyptische Namens Jasir’ela (so nach HELCKS System gelesen) mit Israel. Eine andere Lesung des Textes erlaubt die Übersetzung:
Der Israel-Stamm ist verödet und ohne seinen Samen.

Beide ägyptischen Zeugnisse sind wesentlich älter als sämtliche bisher ermittelten Quellen der Bibel und datieren aus der Zeit, als Ägypten Kolonialmacht über das Land Kanaan war. Beide ägyptischen Texte aber deuten auch darauf hin, daß das Volk Israel und die Jahwe-Beduinen keine besondere Bedeutung besessen haben oder gar in der umfangreichen geographischen Listenliteratur kanaanäischer Städte und Völker eine Sonderstellung einnahmen.

Diese Zeugnisse sind die einzigen, direkten Erwähnungen von Jahwe und Israel in historisch-ägyptischer Zeit. Freilich sind schon im Mittleren Reich vereinzelt Städte aus Palästina erwähnt. Abgesehen von dem Märchen des Sinuhe, das zur Zeit Sesostris I. spielt und in Nordsyrien angesiedelt ist (um 1960 v. Chr.) , gibt es vereinzelt Berichte von Feldzügen, so im Jahr 27 Sesostris’ III. (1878 v. Chr.), wo ein Offizier die Einname von skmm d.h. der Gegen von Sichem meldet . In den Ächtungstexten der späten 12. und 13. Dynastie (um 1770 v. Chr.) werden neben allerlei unbekannten Orten Fürsten samt Familien von Hebron, Moab, Rehob bei Akko, Judäa, Askalon und Jerusalem genannt . Sie liegen für die Ansetzung der biblischen Chronologie zu weit zurück (sofern man nicht wie ROHL diese Chronologie um 350 Jahre verkürzt ), als daß sie für die Landnahme und das Königreich Israel von Bedeutung wären, wie sie im Alten Testament geschildet werden.
 
5. Die biblische Chronologie in der Antike und der neueren Geschichtsschreibung
 
Als der Text des Alten Testamentes in die Form gebracht war, in der er jetzt erhalten ist und damit kanonisch wurde, galt die Bibel sehr rasch als Grundlage für profane Geschichtsschreibung. Sie war auch in ihren Inhalten nicht mehr bezweifelbar, im Gegenteil: die Bibel galt als allerbeste Quelle, weil ja nicht nur das hohe Alter der Geschichte der Juden darin festgeschrieben war, sondern weil solche alten, und durch das Alter geheiligten Traditionen gar nicht irren konnten.
Die griechisch-römischen Schriftsteller der Geschichte, insgesamt rund 120 Autoren, befassen sich mehr mit Faktenschilderungen, seltener mit religiösen Themen und sogar mit Reiseberichten, aber nur ganz ausnahmsweise mit Chronologie. Entsprechend gering ist die Ausbeute der „Historia antiqua“ von Johann EICHBORN , worin er alle lateinischen Autoren berücksichtigt und zur Geschichte Ägyptens vermerkt:

Die alte Geschichte der Ägypter hat nicht einmal ein einziger lateinischer Schriftsteller aus griechischen Autoren rekapituliert
In diese Lücke mußten dann „Fakten“ der Bibel einspringen, freilich, aus der ehemals reichen historischen Literatur des Altertums blieben nur wenige Werke erhalten, die die biblischen Fakten „bestätigten“ und verteidigten, also eigentlich echte, apologetische Schriften. In ihnen nimmt die biblische Geschichte einen breiten Raum ein und besitzt den Charakter der Authentizität. Nur sie waren auch für christliche Traditionalisten überhaupt interessant. Darum sind auch die Schriften des FLAVIUS JOSEPHUS besser erhalten geblieben als z.B. kritische Schriften heidnischer Chronisten und Historiker, die sich vorurteilsfrei mit orientalischer Geschichte beschäftigt hatten, was aber selten vorkam.

Schon zu JOSEPHUS’ Zeiten hat es Versuche gegeben, die historischen Daten und Fakten der Bibel mit den sonstigen, damals verfügbaren Quellen und Fakten in Einklang zu bringen und kritisch zu untersuchen und zu werten. JOSEPHUS selbst treibt solche Quellenkritik in seinen „Altertümern“, indem er klassische Autoren korrigiert oder weitverbreitete, heidnische Vorstellungen zu widerlegen sucht. So führt er in einer Liste 70 Namen der Stammesväter Israels auf, die schwierig zu sprechen und für griechische Ohren ganz barbarisch und völlig aussagelos klangen mit der Begründung:

Ich glaubte, diese Namen aufführen zu müssen, um diejenigen zu widerlegen, die behaupten, daß wir (die Juden) ursprünglich nicht aus Mesopotamien stammen, sondern aus Ägypten kommen.

Selbst HERODOT wird nach der Bibel berichtigt: König Sesostris soll eine Namensverwechslung sein, der Eroberer Palästinas und Syriens sei vielmehr Schoschenk gewesen ant. 7, 10, 3. Andere Autoren werden von JOSEPHUS bewu0t abfällig behandelt und verunglimpft, wenn sie sich mit ägyptischer Geschichte befaßt haben. JOSEPHUS schreibt sogar ein ganz polemisches Werk „Gegen Apion“, der es gewagt hatte, als Heide über ägyptische Geschichte zu schreiben.

APION war alexandrinischer Wissenschaftler, der über die verschiedensten Themen arbeitete: grammatische Einzelfragen, Homerstudien und geschichtliche Themen, darunter schrieb er eben auch die 5 Bücher „Über Ägypten“, die JOSEPHUS bekämpft. Darin werden aber nicht nur historische Themen behandelt, der Stoff der Bücher war viel weiter gefaßt und handelte von allem , was in Ägypten an Wunderbarem gesehen und gehört werden konnte . Auf der Suche nach Material dafür ist APION offenbar weit gereist, denn er hat sich auf dem Memnonkoloß von Westtheben als Tourist in einer Besucherinschrift verewigt. Damit steht seine Existenz außer Frage, und sein Aufenthalt in Westtheben zu Studien der ägyptischen Vergangenheit ist augenfällig dokumentiert.

Die erhaltenen Auszüge der 5 Bücher des APION behandeln auch dementsprechend ein buntes Panoptikum an Themen: Smaragd, verliebte Delphine, Pyramiden, Skarabäus, Schweinsfisch, doch auch das wundersam hohe Alter ägyptischer Geschichte. Das vierte Buch hat den Nebentitel „Von den Juden“. Darin scheint APION ausschließlich jüdische Geschichte zu kritisieren. Er koppelt diese historische Darstellung mit sensationslüsternen Einzelheiten antijüdischer Propaganda seiner Zeit, z.B. Anbetung eines goldenen Eselkopfes, Menschenopfer u.dergl.

JOSEPHUS greift nicht nur APION, sondern auch CHAIREMON und MANTHO an, HERODOT dagegen wird allenfalls am Rande erwähnt. Er zitiert Passagen aus den Schriften seiner Gegner - so blieben wenigstens Fragmente von ihnen erhalten - und versucht, ägyptische (Manetho), phönizische (Dion), „barbarische“ (Menander), chaldäische (Berossus) und griechische Geschichtsschreibung unter einen Hut zu bringen, um seine Theorie von dem hohen Alter der Juden nachzuweisen, insbesondere von dem Aufenthalt der Juden in Ägypten, um den Exodus der Juden zu legitimieren. Dabei zitiert JOSEPHUS, was in der Antike selten ist, sogar verschiedene Abschriften des gleichen Werkes von MANETHO, wenn es seinen Beweisen hilft.

Für JOSEPHUS ist die Einwanderung der Juden und die Josephsgeschichte mit der Einwanderung der Hyksos identisch. Der Exodus mit Mose fällt mit der Vertreibung der Hyksos aus Ägypten zusammen . Die Gleichsetzung Juden = Hyksos war damals nicht zwingend: die Ägypter verleugnen sie und streiten sie ab, „weil sie die Juden seit altersher hassen“

Um die Vertreibung der Hyksos aus Ägypten haben sich frühzeitig mehrere Volksmärchen gesponnen, eines davon schon in altägyptischer Zeit . Ein anderes erzählt JOSEPHUS als „Prophezeiung des Amenophis“: Aufgrund einer Traumerscheinung der Göttin Isis soll Ägypoten von allen Leprakranken und Aussätzigen gesäubert werden, damit die Götter versöhnt würden. Sie werden gesammelt und in die östllichen Steinbrüche geschickt. Der weise Amenophis hatte aber vorhergesehen, daß diese sich gegen Ägypten erheben werden, hat seine Prophezeiungen in einem Buch niedergeschrieben und daraufhin sich selbst getötet. Die Ausssätzigen haben sich als ihren Führer „Osarsiph, ehemals Priester von On“ gewählt und die Stadt Auvaris erobert. Mit Hilfe der „Hirten von Jerusalem“, die sie ins Land riefen, hielten sie große Gebiete Ägyptens besetzt und eroberten das Niltal. König Amenophis flieht nach Äthiopien und kehrt mit einem Hilfsheer zurück. Er schlägt die Aussätzigen und die Hirten und treibt sie nach Syrien zurück.

In diesem Märchen kam es JOSEPHUS auf mehrere zentrale Themen an: Die Juden sind keine Ägypter. Die biblischen Namen Mose und Joseph verbergen sich hinter dem Namen Osarsiph. Die Vorväter der Juden sind keine Kranken und Aussätzigen in Ägypten gewesen.

Vorausgesetzt, daß JOSEPHUS korrekt aus Manetho, Chairemon und Apion zitiert hat, enthält das griechisch-ägyptische Märchen von der Vertreibung der Hyksos eigentümliche Verdrehungen und Mißverständnisse. Typische Märchenmotive wie Traumerscheinung der Göttin Isis, Prophezeiung eines Weisen, werden mit falsch verstandenen oder verdrehten Fakten kombiniert: Strafgefangenen in den Wüstenbergwerken werden Nasen und Ohren abgeschnitten, daher stammt offenbar die Fabel von dem Aussatz.

Daneben kommt eine Volksetymologie vor, die JOSEPHUS besonders anstößig findet : Das hebräische Wort Sabbath und der Gottesname Sabaoth wird mit dem ägyptischen Wort sabbô, sabbaôsis „Lepra“ in Verbindung gebracht APION greift das scherzhaft auf und malt es genüßlich aus:

Als die Juden sechs Tage gereist waren, hatten sie Blasen an ihren Lenden, und deswegen ruhten sie am siebten Tage, da sie nach Judäa kamen. Denn damals bewahrten sie noch die Sprache der Ägypter und nannten diesen Tag Sabbath, denn der Ausschlag an ihren Lenden wurde sabbaôsis (var. sabatosis) von den Ägyptern genannt.
Tatsächlich gibt es das ägyptische Wort sbH kopt. ?????„Aussatz, Lepra“ . Mit dem Adjektiv zusammen lautet es sabhô „großer Aussatz“, worauf die Etymologie aufgebaut ist und worauf das Märchen mit seinen „Aussätzigen“ ebenfalls anspielt.

Für die Chronologie freilich war auch damit nichts gewonnen, denn die Identität der Hyksos mit den Juden war schon damals widerlegt. Da helfen auch keine tiefgründigen Wortforschungen des JOSEPHUS oder willkürliche Behauptungen, daß die Hyksos-Juden nach dem Exodus Jerusalem erbaut hätten, obwohl auch das JOSEPHUS aufgrund seines Bibbeltextes besser weiß und sich selbst widerspricht.

Nur sehr schwerfällig versuchte sich die Geschichtsschreibung des Alten Orients von der Vorherrschaft der Bibel zu befreien. Das Alte Testament galt ja lange Zeit als das älteste Buch der Welt, wie ja auch Hebräisch als die älteste Sprache angesehen wurde, gewissermaßen als Ursprache der Menschheit, bis LEIBNITZ aufstand, dieses Vorurteil endgültig beseitigte und dieses gewaltige Hindernis der Sprachwissenschaft richtig stellte .

Die Heilige Schrift der Christen wie der Juden, womöglich in jeder Zeile von göttlichem Geist inspiriert, war Fundament der Geschichte. Die darin niedergeschriebene Chronologie ist seit dem Altertum maßgeblich geworden. Sie erwies sich für die wissenschaftlilche Geschichtsschreibung als erheblicher Hemmschuh. Es hat sehr viel Mühe, Fleiß und Bekennermut gekostet, die schwankenden Gefilde biblischer Chronologie aufzugeben, die Geschichte des Vorderen Orients von der Vorherrschaft des Alten Testamentes zu befreien und eine eigene, den Quellen und Denkmälern angepaßte und passendere Geschichte zu entwickeln.

Dabei soll nicht verkannt werden, daß gerade die Erwähnung und Spiegelung des Alten Orientes in der Bibel die Orientalistik besonders gefördert hat, und man hat aus diesem Grund „zwecks Bestätigung“ Ausgrabungen unternommen und Expeditionen nach Ägypten, Babylonien und Palästina geschickt. Die so gewonnene Erweiterung des Wissens über die Geschichte der Völker des Nahen Ostens hat zur Erschließung ihrer eigenen Quellen geführt. Die Entzifferung der älteren Schriften wie Phönizisch, Keilschrift in babylonischer, sumerischer, assyrischer Sprache und der Hieroglyphen erbrachte ungefilterte Nachrichten: astronomische Fakten, Annalen, Königslisten, Berichte und Inschriften haben da Gesicht der orientalischen Chronologie entscheidend gewandelt.

Die alttestamentliche Chronologie wurde sehr widerstrebend aufgegeben. Es hat heftigste Erschütterungen gegeben, so der Babel-Bibel-Streit 1902 - 1904, in den sich sogar der deutsche Kaiser mit einer Grundsatzerklärung einschaltete. Erst allmählich wurde man den Ergebnissen der Ägyptologie und der Assyriologie zugänglicher.
Glücklicherweise ist die Ägyptologie bei diesem Babel-Bibel-Streit weitgehend verschont geblieben. Entsprechend fehlen auch solche leidenschaftlichen Vertreter des Panägyptizismus, wie sie eine ganze Epoche lang in der Assyriologie vorherrschend waren und dort unter dem Schlagwort ‘Panbabylonismus’ Schule machten. So fehlen in der ägyptischen Fachliteratur Werke wie das des Aage SCHMIDT „Gedanken über die Entwicklung der Religion aufgrund der babylonischen Quellen“ , P. JENSEN „Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur“ , das alle Literatur der Welt aus dem Gilgamesch herleitet, oder HOMMELS „Geschichte des alten Morgenlandes“ , das die Geschichte panbabylonisch statt biblizistisch betrachtet . Auch die Ausflüge in die Sternenkunde und Astrologie sind in der Ägyptologie nur in der Anfangszeit bekannt. So ist denn auch die Streitschrift von HALTENHOFF „Die Wissenschaft vom alten Orient in ihrem Verhältnis zu Bibelwissenschaft und Offenbarungsglauben“ ausschließlich an babylonischen Problemen interessiert.

Durch Ausbildung der „modernen“ Chronologie und der Spaltung in die nationalen Geschichten des ägyptischen, hetthitischen, babylonische, persischen und syrischen Raumes ist die Bibelchronologie nach und nach in Vergessenheit geraten. Allenfalls naive, bibelverharrende Darstellungen wie z.B. die Zeittafel-Anhänge jeweiliger Bibelausgaben: Bibel in Auswahl , Begleitbibel , Taschenausgabe , Die Gute Nachricht mit zunehmander ‘Anpassung’ an die Ergebnisse der orientalistischen Forschungen versuchen, die Ergebnisse der Historiker zu relativieren und am althergebrachten Standard biblischer Geschichtsschreibung festzuhalten.

Hierher gehören auch die vielen redaktionell bearbeiteten Sensations-Sach-Bücher mit verräterischen Titeln: Und die Bibel hat doch recht - sogar in Bildern Der Spaten bestätigt die Bibel , Von Sinuhe bis Nebukadnezar , Zwischen Nil und Euphrat, archäologische Erläuterungen zur Bibel und erst jüngst: Pharaonen und Propheten, das Alte Testament auf dem Prüfstand.

Die christlich-byzantinischen Historiker stellen als erste eine geschichtliche Übersicht „seit Erschaffung der Welt“ zusammen, die mehr oder weniger modifiziert bis in die frühe Neuzeit Gültigkeit hatte. Ein gutes Beispiel dafür ist das Buch von Gabriel BUCELLIUS „Der gantzen Universal Historiae Nußkern“ Er läßt die Weltgeschichte im Jahr 4054 v. Chr. beginnen und fängt mit Jahr 1 an. Außerhalb seiner Tabelle listet er 56 Autoren auf, die das Datum der Weltgründung anders errechnen und ihre Angaben schwanken von 3509 - 6984 v. Chr..

Der erste Eintrag über Ägypten findet sich dort im Jahr 1600 unmittelbar nach dem „Sündfluß“, garniert mit 16 verderbten Königsnamen „Egyptischer Königen, welche von den arabischen Scribenten in ihrer Succession gesetzt werden“ . So stützt sich der gelehrte Abt also nicht auf klassische Autoren der Griechen und Römer allein, sondern berücksichtigt eine für seine Zeit recht exotische Quelle, die er vermutlich von Athanasius KIRCHER bezogen hat.

Jakob PERIZONIUS hat in seinem Werk „Aegyptorum originum et temporum investigatio“ den Versuch unternommen, Angaben klassischer Autoren mit den Angaben der Bibel zu vereinigen und hat erstmals kritisch beide Überlieferung strikt getrennt und chronologisch gewürdigt. In der Zusammenschau Bibel - Klassische Historiker ergaben sich freilich für ihn so viele Widersprüche, daß er von einer neuen Chronologie absah und sich auf Namensetymologien beschränkte. Die biblische Chronologie stellte er jedenfalls nicht in Frage.

Das versuchte auch nicht die „Histoire universelle depuis le commencement du monde“ , die teils auf den Ergebnissen des PERIZONIUS beruhte, aber auch orientalische Quellen für ihre Darstellung heranzog. Immerhin stellt sie zeitgenössische Reiseberichte neben die Angaben klassischer Autoren und relativiert zumindestens landeskundliche Angaben, zeichnet sogar historische Karten und stellt komplzierte Stammbäume auf, die in Kupfer gestochen wurden. Bei den historischen Übersichtstafeln allerdings bleibt die Geschichte - wie PERIZONIUS - in dem heillosen Durcheinander der Namensvarianten ägyptischer Könige stecken, die Griechisch und Lateinisch auch unterschiedliche Namen tragen.

Den gleichen Sachverhalt stellt noch GESNER in seinen „Isagoges“ dar, während F. C. SCHLENKERT in seinem „Almanach für die Geschichte der Menschheit“ erstmalig die biblische Chronologie kritisch behandelt. Er errechnet zwar auch die Epochen der Menschheitsgeschichte von der Erschaffung der Welt an aufwärts, schiebt aber thematische Schwerpunkte ein: Ägypten ist mit 147 Seiten (von insgesamt 291 S.) überproportional berücksichtigt, allerdings ist seine Darstellung eher literarisch zu werten und nicht folgerichtigt chonologisch-historisch aufgebaut.

Die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft setzen sich sehr schwer in den populärwissenschaftlichen Darstellungen durch: Die „Allgemeine Geschichte“ von Carl Wilhelm BÖTTICHER streift Ägypten nur am Rande und bleibt in der althergebrachten Datierung „von Gründung der Welt an“ hängen.
Die „Allgemeine Weltgeschichte“ von Anton HENNE verläßt das Gerüst der althergebrachten Chronologie, hat die inzwischen erzielten Ergebnisse der Assyriologie und Ägyptologie seiner Zeit eingearbeit, seine Darstellung der Geschichte auf den neusten Stand gebracht und entwickelt ein eigenes System der Geschichtsschreibung. Seine Einleitung ist interessant:

Der Umstand, da´unsere Kirche auf der israelitischen fußt, gab den religiösen Schriften dieses Volkes auch wissenschaftlich dogmatische Geltung, und die Lehrbücher der Geschichte nahmen die sog. mosaisische Zeitrechnung gläubig an, ohne zu untersuchen, weder ob wirklich Moses sie hinterlassen, noch ob wir sie in ihrem alten Zustand besitzen; ohne an ihre kritische Prüfung die Sorgfalt zu verwenden, die man sich bei den Profanschriften unbedenklich und mit Erfolg gestattete. So lassen, angewöhnt, unsere Geschichtsbücher die Menscheit 4000 und einige Jahre vor der jetzigen Zeitrechnung beginnen... gleich, was auch Verstand und Beobachtung fortwährend dazu sagen mochten.

Dieser kritischen Haltung sind denn auch mehr oder weniger die Darstellungen der Ägyptischen Geschichte gefolgt. Noch ganz im Banne der Bibel ist das Buch von Gustav SEYFFART „Übersicht über neue Entdeckungen“ , in dem er die biblische Chronologie anhand seiner astronomisch/astrologischen Studien und ausgehend von seiner mythisch phantasievollen Hieroglyphenlesung festzuhalten sucht. UHLEMANNs verdienstvolle Studien setzen sich damit kritisch auseinander . Selbst noch Alfred WIEDEMANNs Geschichte von Altägypten ist biblisch orientiert, obgleich schon populärwissenschaftliche Werke wie das von Karl OPPEL
mit diesen Erkenntnissen gebrochen hatten und sich die Fachliteratur ohnehin sehr rasch aus dem Korsett der biblischen Chronologie befreit hatte, so LIEBLEIN oder LAUTH.

Es ist jedoch erstaunlich, daß selbst in heutiger Zeit noch „biblische Chronologie“ im Vordergrund steht und daß die Ergebnisse der Ägyptologie wie der Assyriologie stets daran gemessen werden, in wieweit sie biblische Fakten und Erzählungen bestätigen können. Das hat besonders für die Archäologie Palästinas erhebliche Folgen, da man in jedem ausgegrabenen Schutthügel israelitische Reste vermutete und suchte, unabhängig davon, was die Ausgrabungsfunde zeigten oder in welchem Zusammenhang die Ergebnisse dazu standen. So werden sogar noch in jüngster Zeit archäologisch gesicherte Stratigraphien hemmungslos nach oben oder nach unten gezerrt, bloß um den Berichten des Alten Testamentes Genüge zu tun.

Sogar unbestrittene Textentlehnungen interpretiert man kunstvoll weg, weil sie die „Einzigartigkeit des Alten Testamentes“ in Frage stellen. Eine solchen Doppelsalto in der Argumentationskunst will ich hier zum Schluß nennen. Mit Hilfe solcher Argumentation kann man natürlich alles beweisen (und ebenso gut widerlegen). Es handelt sich um die enge Verwandschaft zwischen dem Hymnus Amenophis’ IV. an den Aton und Psalm 104:

Unvermeidlich drängt sich die Frage auf, ob einer der beiden Dichter vom anderen entlehnt hat, und welcher dies wohl war. Wenn es hier auf die Zeit der Niederschrift ankäme, so wäre natürlich der Psalm Amenophis’ IV. der ältere. Aber die Zeit der Niederschrift ist nicht entscheidend für das Alter einer Urkunde; denn jede Urkunde, deren Alter wir kennen, kann schon auf eine ältere zurückgehen. Freilich, in unserem Falle könnte man sagen: Zur Zeit, als Amenophis IV . seinen Psalm dichtete, gab es noch kein Volk Israel; also muß der biblische Psalmendichter von Amenophis IV. entlehnt haben. Allein, gerade bei einem Psalm Amenophis’ IV. ergeben sich für einen solchen Schluß Schwierigkeiten. Der Sonnenkult Amenophis’ IV. wurde bald nach seinem Tode beseitigt; und so wird auch sein Hymnus auf das Tagesgestirn bald in Vergessenheit geraten sein, um erst nach mehr als 3000 Jahren wieder dem Schutt der Vergangenheit entrissen zu werden. Wir müssen daher nach einer anderen Deutung für diese Ähnlichkeit Ausschau halten... Hat also ein kanaanäischer Psalm Amenophis IV. als Vorlage gedient und wurde er einige Jahrhunderte später auch dem biblischen Dichter bekannt, der ihn dann in seiner Art umgestaltete?

Diese Frage kann getrost verneint werden. Hätte der Schreiber doch einmal in den Text der Atonhymne geschaut, wo zu lesen ist:

Du hast die Erde geschaffen nach deinem Wunsche, ganz allein...
Die Fremdländer von Syrien und Nubien, (dazu) das Land Ägypten -
Jedermann stellst du an seinen Platz und sorgst für seine Bedürfnisse...
An dieser Stelle betont Echnaton geradezu programmatisch seinen Atonkult erst für die Fremdländer Syrien und Nubien, und dann schließlich für Ägypten. Das ist umso seltsamer, da sonst die barbarischen Fremdländer stets an zweiter, nie an erster Stelle in ägyptischen Texten genannt werden.

Der ägyptische Sonnentempel des Aton stand in seiner Hauptstadt Achetaton, der nubische Tempel, genannt Gem-Aton „Aton wurde gefunden“ ist in Sesebi gelegen , der „syrische“ Atontempel gilt bisher als verschollen: Er liegt unausgegraben unter dem Tell el-Bedeiwije im Stammgebiet von Zebulun , der auch heute noch Hannathon Jos 19, 14 oder in besserer Lesung Ha-n-aton heißt, d.i. ägyptisch Hw.t nj.t jtn „Tempel des Aton“ . Dabei ist bemerkenswert, daß die alte Vokalisation des Wortes Hat- „Tempel, Haus“ mit Assimilation des Femininums an den Genetiv erhalten blieb, wie sie auch z.B im Namen der Göttin Hathor erhalten ist.

Fazit der Geschichte: Wenn nördlich von Megiddo bei Jokneam ein Atontempel stand, ist es natürlich und wahrscheinlich, daß der Sonnengesang des Echnaton dort im Kultus erklungen ist. Folglich mußten die Kanaanäer und anschließend die Israeliten nicht erst nach Ägypten ziehen und eine Grabwand beschauen, um mit der Hymne in Kontakt zu kommen. Insofern steht sogar archäologisch zweifelsfrei fest, wer zuerst da war: das Ei oder die Henne, in diesem Falle die Hymne oder der hebräische Psalm.
 
© Dr. Wolfgang Kosack
Lautlos ist die Wahrheit, wie der Staub in einem tönernen Gefäß, das Gefäß kann brechen, was bleibt ist die Wahrheit.....
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