13.02.2017, 11:49
»Gnostiker kennen nur Vernunft, keinen Hass«
Im Islam spielt gnostisches Denken eine geringe Rolle, erklärt der Orientalist Wolfgang Kosack. Doch Mohammed war vom Thomasevangelium beeinflusst, und auch in »1001 Nacht« lebt es fort.
FreieWelt.net: Wie erforscht man eigentlich ein so abgelegenes Gebiet wie die islamische Gnosis?
Wolfgang Kosack: In der Tat ist das Gebiet so abgelegen, dass selbst anerkannte Geschichten der arabischen Philosophie – zum Beispiel Max Hortens »Die Philosophie des Islam« von 1924 oder Ignaz Goldzihers »Vorlesungen über den Islam« von 1910 – keine Notiz davon genommen haben. Umso mehr scheint ein so »abgelegenes« Thema für einen Orientalisten interessant zu sein. Man muss allerdings die Methodik der Gnosis und ihre Arbeitsweise durchschauen und ihre Arbeit mit »Vokabeln« verstehen, um zu den überlieferten arabischen Texten einen Zugang zu finden.
FreieWelt.net: Welche Quellen gibt es?
Wolfgang Kosack: Quellen gibt es genügend, man muss nur Arabisch lesen und verstehen lernen, freilich nicht in den gängigen »orthodoxen« Werken des Islam. Schon im Qur’ân sind ganze Ajats voller Gnosis; und Muhammad war bestimmt von Gnosis – sagen wir beeinflusst. Die Gnostiker des islamischen Mittelalters haben übrigens den Qur’ân und seine Verse immer auch als Vorwand benutzt, um ihre freizügigen und so gar nicht orthodoxen Gedanken zu legitimieren. Auf diese Weise sind viele erhalten geblieben, die anderweitig längst wegen ihrer Freizügigkeit verbrannt worden wären. Zum Beispiel ist das Märchen von Sindbad dem Seefahrer aus »1001 Nacht« ein typisch gnostischer Text, der im Gewand eines Märchens alle Jahrhunderte überdauert hat.
FreieWelt.net: Die christliche Gnosis geht von der Verworfenheit der Welt aus, fügt dem Schöpfergott einen Demiurgen bei und leugnet das Heilsgeschehen durch den Opfertod Jesu Christi. Worin besteht das Islamische der islamischen Gnosis?
Wolfgang Kosack: Die bisherige Deutung des Begriffes Gnosis ist von der katholischen beziehungsweise orthodoxen Kirche geprägt und daher sehr einseitig belastet und als »Ketzerei des 2. Jahrhunderts« verächtlich abgetan.
Die Gnosis geht nicht von der Verworfenheit der Welt aus, der bösartige Demiurg ist als »Weltenerschaffer« erst in der gesunkenen Gnosis aufgetaucht als Gegenpart zu dem gütigen Schöpfergott der himmlischen Sphäre. So schlich sich der Dualismus in die Gnosis. Der Opfertod Christi ist orthodoxe Glaubenslehre und hat mit echter Gnosis gar nichts zu tun.
Gnosis ist eine Art Lebensphilosophie, basierend auf den originalen Worten Christi, die im so genannten Thomasevangelium aufgeschrieben wurden. Dieses Thomasevangelium ist übrigens auch eine Quelle von Muhammad gewesen (bei seiner Bekehrung spielt der Engel Taumas eine wesentliche Rolle), so hat auch Mani sein geheimes Evangelium genannt, denn er wurde auch von einem »Zwilling« – das ist die wörtliche Übersetzung von Thomas – in diese Lehre eingeführt.
FreieWelt.net: Wer waren die islamischen Gnostiker und was ist aus ihnen geworden?
Wolfgang Kosack: Islamische Gnostiker waren alle »aufgeklärten« Köpfe, so die Gruppe der Ichwân as-sâfa, einem Philosophen-Club in Bagdad um die Jahrtausendwende (980-1020 n. Chr.), oder Theologen wie al-Ghazâlî, aber auch Dichter wie Nizâmî und der arme Hallâdsch, der wegen seiner Äußerungen »Ich bin die Wahrheit!« (Anâ ’l-haqq) 922 n. Chr. in Bagdad öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die meisten blieben jedoch namenslos und haben als Sufis ihr beschauliches Leben im Untergrund getarnt beendet.
FreieWelt.net: Einer der wenigen Erforscher der islamischen Gnosis, Heinz Halm, sagt, dass die Familie des syrischen Diktators die letzte Bastion der islamischen Gnosis ist. Hat dieser Umstand in der Politik des Nahen Ostens jemals eine Rolle gespielt?
Wolfgang Kosack: Hätte die islamische Gnosis jemals syrisches Gebiet erreicht, sähe die Politik des Nahen Ostens ganz anders aus. Denn Gnostiker kennen nur Vernunft, aber keinen Hass, nicht einmal den auf die Gedanken anderer, die von den ihren abweichen. Und wieso Gnosis ausgerechnet in der Familie des syrischen Diktators? Alawiten sind keine Gnostiker. Insofern muss ich meinem Kollegen Heinz Halm widersprechen.
FreieWelt.net: Wie sieht es mit den Jesiden aus: Sind das Gnostiker?
Wolfgang Kosack: Nein, auch Jesiden sind keine Gnostiker. Sie sind islamische Sektierer, wie zum Beispiel Ismaeliten, Bektaschije, Babismus, Mahdismus.
FreieWelt.net: Spielen islamische Gnostiker heutzutage überhaupt noch eine Rolle?
Wolfgang Kosack: Nein, im strengen Sinne nicht. Freilich, Sindbad wird allerdings immer noch im arabischen Kulturraum gelesen, und »1001 Nacht« ist nicht vergessen; im persischen Bereich spielen die Verse von Omar Khayyâm und die »Sieben Prinzessinnen« von Nizâmî immer noch eine wesentliche Rolle, ebenso das »Vogelparlament« von Attâr. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
FreieWelt.net: Im Abendland hat es seit der Entstehung des Christentums eigentlich immer gnostische Strömungen gegeben. Es sieht so aus, als würde christliches Denken sie geradezu selbst hervorbringen – warum auch immer. Enthält der Islam auch keimhaft Gedanken, die es ermöglichen, ihn umzudeuten und gegebenenfalls in sein Gegenteil zu verkehren, indem die Begrifflichkeiten neu besetzt werden?
Wolfgang Kosack: Man sollte den Qur’ân verstehen als das, was er ist. Es ist das »Buch, das man lesen muss«! Man braucht ihn gar nicht umzudeuten, denn er ist – so Muhammad wörtlich – geschrieben »in einer klaren, arabischen Sprache«. Darin finden sich auch Ajats zur Toleranz, zur Vernunft und gegen jegliche Gewalt.
FreieWelt.net: Waren islamische Gnostiker jemals eine Gefahr für die damaligen Herrscher?
Wolfgang Kosack: Nein, obwohl sie sich wegen der muslimischen Orthodoxie tarnen mussten, mal als »orthodoxe« Theologen wie al-Ghasali, mal als Märchenerzähler wie Nizami, oder sie schrieben »abstruse« Geheimlehren von der Alchemie, wobei sie versprachen, »Gold zu machen«. Gemeint ist damit freilich, das Gold der Erkenntnis zu bringen in die bleierne Seele des Menschen. Insofern sind auch diese alchemistischen Texte sehr gut und geschickt versteckte Gnosis.
FreieWelt.net: Micha Brumlik fragt in seinem Buch über die christliche und jüdische Gnosis nach dem ihr innewohnenden Gewaltpotential. Wie ist das mit der islamischen?
Wolfgang Kosack: Gnosis und Gewalt? Geht das überhaupt zusammen? Was herrscht da für ein schräges Bild von der Gnosis? Natürlich weiß ich: Heute ist dieser Begriff überstrapaziert und findet sich in Buchhandlungen anstatt in der Abteilung Religion in dem riesigen Fach Esoterik wieder. Hier muss der Begriff aber sehr viel enger und präziser gefasst werden.
FreieWelt.net: Gibt es geistesgeschichtliche Verbindungslinien zwischen christlicher, jüdischer und islamischer Gnosis?
Wolfgang Kosack: Ja, denn alles hängt zusammen, wobei ich jüdische Gnosis nicht im Geringsten ausmachen kann. Sämtliche jüdischen Schriften, die Kabbala eingeschlossen, sind zwar nur einen Hauch von der Gnosis entfernt, aber eben keine »echte« Gnosis. Geheimlehren sind nicht unbedingt gnostische Quellen, und schon gar nicht die Gematrie, das heißt das in Ziffern Umrechnen der hebräischen heiligen Wörter beziehungsweise ganzer Zitate mit einem neuen geheimen »Hintersinn«.
Wolfgang Kosack ist Ägyptologe und Koptologe. Er lebt und arbeitet in Berlin. Von ihm erschienen sind unter anderem folgende Bücher:
Soviel zum Thema Islam ... Neues von der Botschaft Muhammads, über das »Buch, was man lesen muss«, für Juden, Christen, Moslems. Berlin: Verlag Christoph Brunner, 2013.
Geschichte der Gnosis in Antike, Urchristentum und Islam. Berlin: Verlag Christoph Brunner 2014.
Im Islam spielt gnostisches Denken eine geringe Rolle, erklärt der Orientalist Wolfgang Kosack. Doch Mohammed war vom Thomasevangelium beeinflusst, und auch in »1001 Nacht« lebt es fort.
FreieWelt.net: Wie erforscht man eigentlich ein so abgelegenes Gebiet wie die islamische Gnosis?
Wolfgang Kosack: In der Tat ist das Gebiet so abgelegen, dass selbst anerkannte Geschichten der arabischen Philosophie – zum Beispiel Max Hortens »Die Philosophie des Islam« von 1924 oder Ignaz Goldzihers »Vorlesungen über den Islam« von 1910 – keine Notiz davon genommen haben. Umso mehr scheint ein so »abgelegenes« Thema für einen Orientalisten interessant zu sein. Man muss allerdings die Methodik der Gnosis und ihre Arbeitsweise durchschauen und ihre Arbeit mit »Vokabeln« verstehen, um zu den überlieferten arabischen Texten einen Zugang zu finden.
FreieWelt.net: Welche Quellen gibt es?
Wolfgang Kosack: Quellen gibt es genügend, man muss nur Arabisch lesen und verstehen lernen, freilich nicht in den gängigen »orthodoxen« Werken des Islam. Schon im Qur’ân sind ganze Ajats voller Gnosis; und Muhammad war bestimmt von Gnosis – sagen wir beeinflusst. Die Gnostiker des islamischen Mittelalters haben übrigens den Qur’ân und seine Verse immer auch als Vorwand benutzt, um ihre freizügigen und so gar nicht orthodoxen Gedanken zu legitimieren. Auf diese Weise sind viele erhalten geblieben, die anderweitig längst wegen ihrer Freizügigkeit verbrannt worden wären. Zum Beispiel ist das Märchen von Sindbad dem Seefahrer aus »1001 Nacht« ein typisch gnostischer Text, der im Gewand eines Märchens alle Jahrhunderte überdauert hat.
FreieWelt.net: Die christliche Gnosis geht von der Verworfenheit der Welt aus, fügt dem Schöpfergott einen Demiurgen bei und leugnet das Heilsgeschehen durch den Opfertod Jesu Christi. Worin besteht das Islamische der islamischen Gnosis?
Wolfgang Kosack: Die bisherige Deutung des Begriffes Gnosis ist von der katholischen beziehungsweise orthodoxen Kirche geprägt und daher sehr einseitig belastet und als »Ketzerei des 2. Jahrhunderts« verächtlich abgetan.
Die Gnosis geht nicht von der Verworfenheit der Welt aus, der bösartige Demiurg ist als »Weltenerschaffer« erst in der gesunkenen Gnosis aufgetaucht als Gegenpart zu dem gütigen Schöpfergott der himmlischen Sphäre. So schlich sich der Dualismus in die Gnosis. Der Opfertod Christi ist orthodoxe Glaubenslehre und hat mit echter Gnosis gar nichts zu tun.
Gnosis ist eine Art Lebensphilosophie, basierend auf den originalen Worten Christi, die im so genannten Thomasevangelium aufgeschrieben wurden. Dieses Thomasevangelium ist übrigens auch eine Quelle von Muhammad gewesen (bei seiner Bekehrung spielt der Engel Taumas eine wesentliche Rolle), so hat auch Mani sein geheimes Evangelium genannt, denn er wurde auch von einem »Zwilling« – das ist die wörtliche Übersetzung von Thomas – in diese Lehre eingeführt.
FreieWelt.net: Wer waren die islamischen Gnostiker und was ist aus ihnen geworden?
Wolfgang Kosack: Islamische Gnostiker waren alle »aufgeklärten« Köpfe, so die Gruppe der Ichwân as-sâfa, einem Philosophen-Club in Bagdad um die Jahrtausendwende (980-1020 n. Chr.), oder Theologen wie al-Ghazâlî, aber auch Dichter wie Nizâmî und der arme Hallâdsch, der wegen seiner Äußerungen »Ich bin die Wahrheit!« (Anâ ’l-haqq) 922 n. Chr. in Bagdad öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die meisten blieben jedoch namenslos und haben als Sufis ihr beschauliches Leben im Untergrund getarnt beendet.
FreieWelt.net: Einer der wenigen Erforscher der islamischen Gnosis, Heinz Halm, sagt, dass die Familie des syrischen Diktators die letzte Bastion der islamischen Gnosis ist. Hat dieser Umstand in der Politik des Nahen Ostens jemals eine Rolle gespielt?
Wolfgang Kosack: Hätte die islamische Gnosis jemals syrisches Gebiet erreicht, sähe die Politik des Nahen Ostens ganz anders aus. Denn Gnostiker kennen nur Vernunft, aber keinen Hass, nicht einmal den auf die Gedanken anderer, die von den ihren abweichen. Und wieso Gnosis ausgerechnet in der Familie des syrischen Diktators? Alawiten sind keine Gnostiker. Insofern muss ich meinem Kollegen Heinz Halm widersprechen.
FreieWelt.net: Wie sieht es mit den Jesiden aus: Sind das Gnostiker?
Wolfgang Kosack: Nein, auch Jesiden sind keine Gnostiker. Sie sind islamische Sektierer, wie zum Beispiel Ismaeliten, Bektaschije, Babismus, Mahdismus.
FreieWelt.net: Spielen islamische Gnostiker heutzutage überhaupt noch eine Rolle?
Wolfgang Kosack: Nein, im strengen Sinne nicht. Freilich, Sindbad wird allerdings immer noch im arabischen Kulturraum gelesen, und »1001 Nacht« ist nicht vergessen; im persischen Bereich spielen die Verse von Omar Khayyâm und die »Sieben Prinzessinnen« von Nizâmî immer noch eine wesentliche Rolle, ebenso das »Vogelparlament« von Attâr. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
FreieWelt.net: Im Abendland hat es seit der Entstehung des Christentums eigentlich immer gnostische Strömungen gegeben. Es sieht so aus, als würde christliches Denken sie geradezu selbst hervorbringen – warum auch immer. Enthält der Islam auch keimhaft Gedanken, die es ermöglichen, ihn umzudeuten und gegebenenfalls in sein Gegenteil zu verkehren, indem die Begrifflichkeiten neu besetzt werden?
Wolfgang Kosack: Man sollte den Qur’ân verstehen als das, was er ist. Es ist das »Buch, das man lesen muss«! Man braucht ihn gar nicht umzudeuten, denn er ist – so Muhammad wörtlich – geschrieben »in einer klaren, arabischen Sprache«. Darin finden sich auch Ajats zur Toleranz, zur Vernunft und gegen jegliche Gewalt.
FreieWelt.net: Waren islamische Gnostiker jemals eine Gefahr für die damaligen Herrscher?
Wolfgang Kosack: Nein, obwohl sie sich wegen der muslimischen Orthodoxie tarnen mussten, mal als »orthodoxe« Theologen wie al-Ghasali, mal als Märchenerzähler wie Nizami, oder sie schrieben »abstruse« Geheimlehren von der Alchemie, wobei sie versprachen, »Gold zu machen«. Gemeint ist damit freilich, das Gold der Erkenntnis zu bringen in die bleierne Seele des Menschen. Insofern sind auch diese alchemistischen Texte sehr gut und geschickt versteckte Gnosis.
FreieWelt.net: Micha Brumlik fragt in seinem Buch über die christliche und jüdische Gnosis nach dem ihr innewohnenden Gewaltpotential. Wie ist das mit der islamischen?
Wolfgang Kosack: Gnosis und Gewalt? Geht das überhaupt zusammen? Was herrscht da für ein schräges Bild von der Gnosis? Natürlich weiß ich: Heute ist dieser Begriff überstrapaziert und findet sich in Buchhandlungen anstatt in der Abteilung Religion in dem riesigen Fach Esoterik wieder. Hier muss der Begriff aber sehr viel enger und präziser gefasst werden.
FreieWelt.net: Gibt es geistesgeschichtliche Verbindungslinien zwischen christlicher, jüdischer und islamischer Gnosis?
Wolfgang Kosack: Ja, denn alles hängt zusammen, wobei ich jüdische Gnosis nicht im Geringsten ausmachen kann. Sämtliche jüdischen Schriften, die Kabbala eingeschlossen, sind zwar nur einen Hauch von der Gnosis entfernt, aber eben keine »echte« Gnosis. Geheimlehren sind nicht unbedingt gnostische Quellen, und schon gar nicht die Gematrie, das heißt das in Ziffern Umrechnen der hebräischen heiligen Wörter beziehungsweise ganzer Zitate mit einem neuen geheimen »Hintersinn«.
Wolfgang Kosack ist Ägyptologe und Koptologe. Er lebt und arbeitet in Berlin. Von ihm erschienen sind unter anderem folgende Bücher:
Soviel zum Thema Islam ... Neues von der Botschaft Muhammads, über das »Buch, was man lesen muss«, für Juden, Christen, Moslems. Berlin: Verlag Christoph Brunner, 2013.
Geschichte der Gnosis in Antike, Urchristentum und Islam. Berlin: Verlag Christoph Brunner 2014.
Lautlos ist die Wahrheit, wie der Staub in einem tönernen Gefäß, das Gefäß kann brechen, was bleibt ist die Wahrheit.....