17.10.2020, 20:19
(17.10.2020, 18:23)Waggis schrieb: Na ja, „Freud“ mit einem philosophischen Lächeln wegzustecken will mir nicht gelingen, zu sehr missfällt mir sein gnostisch-atheistisch nicht im geringsten philosophisch angehauchter Geist und sein platter ideologischer Konstrukt, die Seele als gottlosen Apparat zu veranschaulichen.
Und seine „terra incognita“ (das Unbewusste) eine Art Freud’sche Dunkelkammer in der er bei „Rotlicht“ und im Kokainrausch seine eigenen sexuellen Phantasien entwickelt, interpretiert und auf Ratsuchende projiziert, dabei aber analytisch letztlich dort nichts findet als seine eigenen Komplexe?
Wo Psychoanalyse die Psyche zu einem Schauplatz macht auf dem nichts als darwinistische Ur-Triebe miteinander ringen, ist schlicht eine Art Dämonologie, - und letztlich Teufelsaustreibung.
Tja mein Lieber, was schlägst Du denn stattdessen vor?
Einmal, den historischen Tatbestand von Freuds Wirken müssen wir ja so hinnehmen. Und an Kritik und Bewertung dessen sind schon Bibliotheken vollgeschrieben worden. Aber egal.
Über die Art und Weise von Freud's Arbeit kann man geteilter Meinung sein, viel bedeutsamer finde ich die Tatsache, dass sie getan worden ist. Denn -soweit ich es blicke- 1700 Jahre lang hat man überhaupt keinen Gedanken darauf verschwendet, was es mit dem menschlichen Bewusstsein auf sich haben mag. Und das ist das eigentlich verwunderliche, denn bei aller Wissenschaft und aller Neugier hat man doch das Naheliegendste, nänlich das instrument, welches all dies wahrnimmt, eben das Bewusstsein, als Forschungsobjekt offenbar komplett übersehen!
Gewiss, es wurde Philosophie betrieben - aber Philosophie hat, historisch besehen, nicht die Aufgabe, die Funktionsweise des Bewusstseins wissenschaftlich zu begründen, sondern vielmehr, angemessene Ethik für das menschliche Verhalten zu beschreiben.
Das sind zwei sehr verschiedene Dinge: Wissenschaft -und zwar die ideale, freie Wissenschaft- beschreibt, wie etwas funktioniert - und zwar unter sämtlichen denkbaren Bedingungen, unabhängig von Rahmenbedingungen wie Ethik etc.
Philosophie dagegen will einem sagen, was man tun und lassen soll.
Als ein Freund der Anschauung von Thelema ("tu was du willst soll sein das ganze Gesetz") billige ich niemand anderem zu, mir zu sagen was ich tun und lassen soll. Ich bin aber auf Erkenntnisse angewiesen dahingehend, wie Dinge funktionieren und zusammenhängen (denn allein kann ich nicht die ganze Welt erforschen), um dann auf dieser Basis selber zu entscheiden was ich tun will.
Von da aus sehe ich eben die Gnosis als eine Wissenschaft des Bewusstseins. Und ich meine nicht den Gnostizismus mit seinen Demiurgen und all dem, sondern das was etwa aus dem Thomasev. hervorscheint: das sind Formulierungen von Naturgesetzen dahingehend, wie das Bewusstsein arbeitet. Und zwar auf einem hohen, zeitlos immergültigen Niveau.
Dann gab es noch die Neuplatoniker, die sich diesen Dingen gewidmet haben - und dann ist 1700 Jahre lang nichts mehr passiert - ausser wahrscheinlich in geschlossenen Zirkeln und Geheimgesellschaften. Und dann war Freud derjenige, der überhaupt wieder dieses Ding, das Bewusstsein, als einen Forschungsgegenstand angesehen hat - nun freilich aus einem neuzeitlich-modernen, rationalen Blickwinkel, und vermutlich ohne den Hintergrund einer spirituellen Ausbildung (wo hätte er die auch hernehmen sollen?) Dementsprechend ist das ganze dann eben nicht zeitlis-immergültig ausgefallen, sondern sehr beschränkt auf die Sorgen und Nöte der neuzeitlichen Bourgeoise.
Ds war aber ja nicht der Endpunkt der Geschichte, sondern schlicht ein Akt der Befreiung. Denn da hat man erstmal angefangen, mit alternativen Lebensentwürfen zu experimentieren! Man hat eben überhaupt mal erkannt, dass diese gestaltbar sind, dass man sich also aussuchen kann, wie man leben und was man sein will - und nicht etwa, wenn der Vater Zimmermann war, dann war man verurteilt sein Leben eben als Zimmermann zuzubringen, so wie es bis dato war. Und dann tauchten diese Dinge auf, wie die Lebensreform, die Nudistenbewegung, Monte Verita, Hermann Hesse, usw.
Später dann in einer zweiten Phase, ab etwa 1960, und jetzt überwiegend an der us-am. Westküste, wurde das ganze wieder aufgegriffen und nun verknüpft und weitergeführt in ungemein brilliante Bereiche. Daraus entstand dann eine Massenbewegung der Selbstverwirklichung, die schließlich unsere Gesellschaft komplett verändert hat. Aber dabei muss etwas schiefgegangen sein - Massenbewegungen sind immer problematisch, aber mein Verdacht ist, dass die Sozialisten diese Bewegung infiltriert und für sich vereinnahmt haben, ohne irgendein Verständnis der spirituellen Dimension, und sie dann verzweckt haben im Sinne ihrer eigene politischen Agenda einer totalitären geistverachtenden Diktatur des Pöbels, wie wir sie heute haben.
Seitdem ist nun wiederum nichts mehr passiert. Die brillianten, wegweisenden Ideen der 60er Jahre sind komplett vergessen, das was es in den Mainstream geschafft hat, ist zu leeren Hülsen und unverstandenen Floskeln verkommen, der Rest als Verirrung belächelt.
Anstatt also Freud zu verurteilen, wäre doch eher da anzuknüpfen, bei dem immensen Fundus an (zugegeben weitgehend unausgegorenen, aber desungeachtet brillianten) Ideen aus der frühen zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts - von dem ich einst geglaubt hatte, dass diese Ideen, verbunden mit den modernen Technologien, den Weg bahnen würde hin zu einer weltweiten, aufgeklärten und nach Höherem strebenden Menschheit, und nicht etwa, wie geschehen, eine Rückentwicklung zu einer Gesellschaft, die man als feudalsozialistisch bezeichnen muss: in der weltumspannden Großkonzere (FAANG) alles beherrschen und umfassende Rechte haben, während die Bürger als Konsumzombies bloßes Nutzvieh im Regierungsbesiz sind, das zum maximalen Profit der Konzerne als Arbeiter und Konsumenten gehalten und daher, zwecks seiner optimalen Verwertung, in sozialistischer Manier zum immergleichen Stumpfsinn gleichgeschaltet wird.