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Wozu "glauben"?
#26
(06.12.2024, 00:35)Elevation Eight schrieb: Okay. Beizeiten bin ich dann vllt. mal ne weile nicht mehr da, also nicht wundern.

Ansonsten müssten wir das vllt. doch mal genauer anschauen. Es gibt da zB einen Verein, der heißt Frankfurter Ring - und da gibt es bestimmt noch mehr ähnliches von solcher art. Den gibt es schon sehr lang. Und da werden nur ständig Veranstaltungen gemacht mit Leuten, die dir helfen wollen - und die kosten auch immer gleich richtig Geld. Und die Leute, die da auftreten, sagen dir auch immer dass sie der einzige sind der dir helfen kann.
(Ach ja, btw, wenn du mal nach Glastonbury kommst - die ganze Village ist voll mit Buden von Leuten, die auch solcherart dir helfen wollen.)

Also, das nehmen wir mal als Koordinate. Und dazu nehmen wir jetzt das was Du geschrieben hast:
Zitat:Eine existenzielle Sehnsucht nach Rückkehr zur Einheit. Die menschliche Sehnsucht nach einer Rückkehr in die „große Einheit“ (Gott, Nirvana, Liebe, Rausch) ist nmM eine universelle Konstante. Warum diese Vorstellung in vielen spirituellen, religiösen, esoterischen und philosophischen Traditionen zentra ist, z. B. im Hinduismus und Buddhismus (Nirvana als Erlösung) oder in der jüdisch-christlichen Theologie (Rückkehr zu Gott), liegt auf der Hand: Weil diese Konzepte einen Weg aus dem Trauma heraus zu gestalten versuchen.

Und dann gibt das plötzlich Sinn: all diese Angebote, all diese Leute die dir helfen wollen: die sollen also aus dem Trauma heraushelfen!

Das setzt aber eben voraus, dass man erstmal ein Trauma hat - und darauf wär ich nie gekommen.

Ich nämlich, ich hab mir nie Gedanken darüber gemacht, zB über eine Berufswahl oder wie ich über die Runden komme, ich wusste schon immer, dass diese Welt ein Spielzeug ist, mit dem ich machen kann was ich will, und das hab ich dann auch getan. Und ich war Atheist, streng naturwissenschaftsgläubig und ohne jedes Verständnis für irgendwas spirituelles, religiöses oder magisches.
Und irgendwann hat es dann halt knacks gemacht, und die Erkenntnis ist im Kopf eingerastet: dass es eine Schöpfung gibt. dass alles nur ein einziger zusammenhängender Organismus ist, dass Gott/Natur/Schöfpung im grunde alles dasselbe meint, ein zusammenhängendes ganzes. Und das wars dann, eine Erfahrung, die nicht mehr aufgelöst werden kann, und die so elementar ist, dass kein Zweifel daran mehr möglich ist.

Also das sind die beiden Punkte: zunächst Spiritualität komplett verneint, und dann als eine Selbstverständlichkeit erkannt.
Aber ich hab keine Idee, wie man an diesen anderen Punkt kommt, wo man meint man täte Therapie brauchen. Und da scheint es ja eine Riesenzahl von Kunden zu geben.

Ich meinerseits jedenfalls, mit dieser neuen Erkenntnis, war erstmal etwas verwirrt, und hab angefangen nach irgendwie Geistesverwandten zu suchen, die ähnliches erfahren haben. Aber gefunden hab ich stattdessen nur die selbsternannten Therapeuten, die mir erzählen wollten dass nur sie mir helfen können (wobei eigentlich?) und ich ihnen unbedingt Geld geben soll.
Udn an dem punkt hänge ich schon lange fest: dass ich mit meiner Erkennnis, Teil eines ganzen zu sein, im grunde allein bin, und alle anderen nur Therapie kaufen/verkaufen wollen.

Soweit also das X-File.

Jetzt gibts noch was interessantes. Als ich mal beim Backwahn in Indien war um mir das mal anzugucken - und das ist im grunde auch wieder genau dasselbe, ein großer Esoterikmarkt mit lauter Therapie für wasauchimmer  - da hab ich dann mal beim Nachhauseweg einen netten jungen mann gefragt, was er damit eigentlich bezweckt. Die Antwort war interessant: er hatte eine Beziehung mit einer Lady, und das klappte irgendwie nicht, und deswegen muss er jetzt so lange beim Backwahn meditieren, bis er für die Lady gut genug ist.
Das lassen wir einfach mal so stehen.
Aber dann fällt mir dazu noch was anderes ein: da war ich auf einem Workshop, und da war auch eine Lady dabei: Architektin, brilliant, schön, intelligent, und in jeder Hinsicht perfekt - ein Exemplar nach dem man sich alle zehn Finger abschlecken könnte. Und es hat geknistert, dass es schon wehgetan hat. Die hat dann auf Nachfrage erklärt, nein, sie kann keine Beziehung eingehen, weil sie erst ihr Jahrestraining bei der Therapiegruppe XY machen muss, weil sie sonst nicht beziehungsfähig ist.... Ist mir erst jetzt grade wieder eingefallen, passt eigentlich zu der anderen Geschichte.
Aber was geht da eigentlich vor??

Zum "Urtrauma", wie ich es sehe: Die Geburt markiert nicht nur einen biologischen Übergang, sondern symbolisiert den Beginn des sozialen Lebens. Der Eintritt in die Welt ist also gleichbedeutend mit der Trennung von einer ursprünglichen Einheit und der Konfrontation mit der sg. sozialen Ordnung, die uns prägt. Hat das für dich denn einen, wenn auch nicht-traumatischen Impact? Es ist jedenfalls kein Zufall, dass religiöse und spirituelle Traditionen stets solche Rückkehrmythen kultivieren. Sie sollen wohl dazu dienen, individuelle Erfahrungen in kollektive Bedeutungsrahmen einzubetten und so das "Chaos des Lebens" zu ordnen. Das bekommen sie natürlich nicht hin, sondern gehen vielmehr ausbeuterisch vor; so wie der Bader im Mittelalter davon gelebt hat, jedes Leiden mit Aderlässen zu therapieren und in seiner Rolle überwiegend alternativlos war. 

Der Markt für Therapien und spirituelle Angebote übernimmt genau jene Rolle, die früher den Religionen vorbehalten war: die Bearbeitung von Erfahrungen der Fragmentierung und Entfremdung. Die „Therapieindustrie“ folgt dabei den gleichen Prinzipien wie der Ritus: Sie strukturiert das Chaos und bietet symbolische Wege der Heilung an – allerdings auf eine individualisierte, kommerzialisierte Weise, die ihrer kollektiven Funktion beraubt scheint und nach meiner Erfahrung auf der ein oder anderen größeren Illusion aufbaut. 

Deine eigene Erfahrung, die plötzliche Erkenntnis der Einheit allen Seins, verstehe ich durchaus als Offenbarung. Doch sie unterscheidet sich grundlegend von den Erfahrungen derer, die du als „Therapiesuchende“ beschreibst: Deine Erkenntnis ist isoliert, nicht geteilt, und dadurch sozial folgenlos. Denn es ist ja die Gemeinschaft, die solche Erfahrungen verankert, sie heilig macht und ihre transformative Kraft entfaltet. Ohne die Einbindung in ein kollektives Ritual wird eine individuelle Epiphanie zu einer persönlichen Herausforderung – weniger ein Fundament für sozialen Zusammenhalt als eine Quelle der Vereinzelung. Vielleicht macht gerade das so einsam.

Die Geschichte mit der Architektin oder des jungen Mannes, die durch "Selbstoptimierung" eine Art Erlösung suchen, spiegelt diesen Zustand wider. Die modernen „Heilungsrituale“ verlagern das Heilige vom Transzendenten ins Psychologische, doch sie perpetuieren das Trauma, indem sie das Ziel immer unerreichbar lassen. Statt kollektive Versöhnung zu schaffen, drängen sie den Einzelnen in einen unendlichen Prozess der Selbstverbesserung, was ich ganz und gar ekelhaft finde.

Und ich frage mich ernshtaft: Kann diese moderne Gesellschaft überhaupt noch Formen kollektiver Erfahrung entwickeln, die ein solches Urtrauma produktiv bearbeiten, oder ist der Einzelne zum ewigen Therapeuten seiner selbst geworden? Vielleicht liegt in deiner Erfahrung der Einheit ein Schlüssel: die Möglichkeit, eine neue, gemeinschaftliche Vorstellung des Heiligen zu stiften – jenseits des Konsums und jenseits der Isolation. Schade, dass du es nicht genauer in Worte fassen, gar eine Anleitung formulieren kannst...
The whole man must move together. 
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